«Was ist uns unsere Gesundheit, unser künftiges Leben wert?»
Stadtklima und Schwammstadt sind in aller Munde. Trotzdem ändert sich im Strassenraum bisher wenig. Warum ist das so? Und was muss sich konkret ändern? Darüber haben wir mit der Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin Anke Domschky gesprochen.
Die grossen Städte haben inzwischen alle einen Rahmenplan oder ein Konzept zum Stadtklima. Das Thema ist plötzlich enorm präsent. Wie kam das?
Anke Domschky: Auf der einen Seite sind es die Hitzesommer und ihre gesundheitlichen Folgen. Sie sind eine Belastung für das Gesundheitssystem und verursachen hohe Kosten. Auf der anderen Seite sind es vermehrte Starkniederschläge, die das Kanalsystem überlasten, wodurch Überflutungen nicht mehr verhindert werden können.
Diese Aspekte haben die Städte dazu bewogen, nach und nach Anpassungen vorzunehmen. Das Thema Stadtklima ist aber nicht neu. Schon während meines Studiums, das nun gut 20 Jahre zurückliegt, war es ein Thema. Es wurde die letzten Jahre jedoch nicht als planungsrelevant angesehen. Das hat sich nun geändert. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit, klimatische Aspekte in der Planung zu berücksichtigen, hat vor fünf Jahren stark zugenommen.
Anke Domschky ist Dozentin am interdisziplinären Institut Urban Landscape der ZHAW. Bild: ZHAW / Conradin Frei
Trotzdem nimmt die von Bäumen beschattete Fläche beispielsweise in Zürich noch immer ab.
Die Menschen fühlen sich da wohler, wo es grüner ist, wo Schatten ist und wo die Blätter rauschen. Das ist nachgewiesen. Es ist erstaunlich, dass Bäume trotzdem oft noch nicht zentral sind. Technische Innovationen setzen sich in Politik und Gesellschaft einfacher durch als «pflanz doch einfach mal einen Baum». Das gilt nicht als innovativ.
Die Stadt Zürich ist sich ihrer Verantwortung auf öffentlichem Grund durchaus bewusst. Insgesamt möchte sie die Kronenfläche von Bäumen – also die durch Bäume beschattete Fläche – erhöhen. Das Problem bleibt aber, dass die Baumgruben, so wie sie jetzt geplant werden, zwar für das Anwachsen der Bäume gut sind. In der Regel kommt das Wachstum der Bäume aber nach 15 Jahren ins Stocken, weil die Baumgruben zu klein sind. Also dann, wenn sie fürs Klima wirksam werden, weil sie langsam genügend Blattmasse haben, hören sie auf zu wachsen und werden stressanfälliger. Eigentlich müssten die Gruben grösser und der Bodenaufbau durchlässiger werden. Da, wo aktuell gerade grossflächig Leitungen gebaut werden, könnte man das ohne Weiteres so machen.
Was versteht man unter einer Schwammstadt?
Das Konzept der Schwammstadt kommt aus der Stadtplanung. Anstatt das anfallende Regenwasser zu kanalisieren und abzuführen, wird es im Boden gespeichert und Bäumen, Fassaden- und Dachbegrünungen zur Verfügung gestellt. So können Überflutungen bei starkem Regen vermieden und das Stadtklima verbessert werden. Es braucht dafür jedoch grossflächige Entsiegelungen und beispielsweise «Mulden-Rigolen-Systeme», um das Versickern zu ermöglichen und das Wasser verzögert abzuführen.
Was müsste sich konkret ändern, damit das passiert?
Ganz zentral ist, dass Stadtklima und Biodiversität von Anfang an in der Planung berücksichtigt werden. Bisher kamen diese Themen erst am Ende. Man hat zuerst die Zufahrt, die Parkplätze und den Spielplatz geplant. Am Schluss hat man die Flächen, die übrig geblieben sind, asphaltiert, weil es für den Unterhalt einfacher ist. Wenn die Bereitschaft in der Planung da ist, so wenig wie möglich zu versiegeln und so viel wie möglich zu pflanzen, können auch die kleinsten Flächen sinnvoll für eine Verbesserung des Stadtklimas genutzt werden. Es braucht auch die Bereitschaft, den Unter halt anzupassen, sodass nicht mehr überall mit den Putzfahrzeugen entlanggefahren werden
muss.
Trotz den politischen Konzepten für das Stadtklima werden zig Strassen aufgerissen und genauso wieder zugeteert. Wie erklären Sie den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis?
Das Planungswesen ist unglaublich langsam. Die Stadt Zürich hat mit dem Hitzeplan etwas wirklich Gutes erarbeitet, aber es hat einige Jahre gedauert, bis er überhaupt veröffentlicht wurde. In dieser Zeit ist draussen nichts passiert. Und auch jetzt werden noch Baustellen im alten Modus umgesetzt, weil sie vor zehn Jahren geplant und beschlossen wurden. Man müsste sich die Planungen, die aktuell am Laufen sind, nochmals vornehmen und kurzfristige Anpassungen machen. Es ist aber unklar, wer das in der «Verwaltungsmühle» in Gang setzen kann und dafür die Verantwortung übernimmt.
Oft hören wir, Bäume könnten nicht gepflanzt werden, weil es Leitungen im Boden hat. Ist das wirklich so ein grosses Problem?
Die Leitungsschächte werden normalerweise unter dem Trottoir oder am Strassenrand angelegt, damit der Verkehrsfluss nicht gestört wird, wenn an den Leitungen etwas gemacht werden muss. Also dort, wo man eigentlich Bäume pflanzen möchte. Man könnte die Kanalschächte aber auch unter die Fahrbahn legen, wenn man bereitist, die Strasse für den Leitungsunterhalt zumindest einseitig zu sperren. Die Verlegung von Kanalschächten ist jedoch sehr teuer und aufwendig. Aber ich frage mich: «Was ist uns unsere Gesundheit, unser künftiges Leben wert?»
Wie wichtig ist die Verkehrswende und eine andere Nutzung der Strasse für das Stadtklima und die Schwammstadt?
Es ist eine Flächenfrage. Es ist utopisch zu glauben, dass eine Autospur, ein Velostreifen, ein E-Bike-Streifen, ein Trottoir und eine Baumreihe und dann noch eine Retentionsfläche – also eine Mulde, um das Wasser zurückzuhalten – nebeneinander im Stadtraum Platz haben. Das funktioniert natürlich nicht. Es braucht deshalb eine Multifunktionalität im Strassenbereich. Solange das Auto vorherrschend ist, ist diese Multifunktionalität nicht möglich. Mich ärgert, dass wir darüber diskutieren, ob es einen Velostreifen oder aber einen Baumstreifen gibt. Baumreihen mit Retentionsflächen sind für das künftige Stadtklima zwingend notwendig! Den Rest des Raums müssen sich die Verkehrsteilnehmenden gleichberechtigt teilen. Das heisst, die Autofahrenden müssen Abstriche machen, aber auch alle anderen Verkehrsteilnehmende müssen Rücksicht aufeinander nehmen.